Skip to main content

Verlustprävention im Einzelhandel: Sweethearting als versteckte Gefahr

Sweethearting – ein Begriff, der auf den ersten Blick harmlos klingt, für den Einzelhandel jedoch massive finanzielle Schäden bedeuten kann. Wie erkennen Unternehmen diese Art des Betrugs und welche Maßnahmen helfen? Wir liefern Antworten und Lösungen.

Sweethearting, Betrug im EInzelhandel

Sweethearting im Einzelhandel: Wenn Gefälligkeiten zur Gefahr werden

Im Einzelhandel zählt nicht nur ein gut gefüllter Warenkorb oder ein freundlicher Kundenservice – auch wirtschaftliche Sicherheit spielt eine entscheidende Rolle. Neben Herausforderungen wie Preisdruck und Logistik gibt es eine Gefahr, die oft unterschätzt wird: Sweethearting. Dabei handelt es sich um eine Form des Diebstahls, bei der Mitarbeitende Waren oder Rabatte unrechtmäßig an Freunde, Familienangehörige oder andere Begünstigte weitergeben. Diese vermeintlichen „Gefälligkeiten“ können erhebliche Verluste verursachen und die Unternehmenskultur nachhaltig beeinträchtigen.

Was ist Sweethearting?

Sweethearting beschreibt eine Form des internen Diebstahls, bei der Mitarbeitende gezielt Produkte kostenlos oder zu stark reduzierten Preisen an Personen weitergeben, zu denen sie eine persönliche Beziehung haben. Dazu zählen Bekannte, Familienangehörige, Kolleginnen und Kollegen oder auch Stammkundschaft. Der Begriff suggeriert eine harmlose, freundschaftliche Geste – doch tatsächlich handelt es sich um eine illegale Handlung, die dem Unternehmen finanziell schadet. Im Folgenden erfahren Sie, was Sweethearting genau ist, warum es so häufig vorkommt und welche Maßnahmen helfen, dieses Problem in den Griff zu bekommen.

Die häufigsten Methoden von Sweethearting

  • Nicht-Scannen von Artikeln: Die Kassierkraft lässt bestimmte Waren einfach über das Kassenband gleiten, ohne sie zu erfassen. Auf dem Beleg tauchen diese Produkte nie auf, sodass das Unternehmen keinen Umsatz erzielt, obwohl die Kundschaft die Ware mitnimmt.
  • Veränderung von Preisen: Mitarbeitende setzen bewusst einen niedrigeren Preis an, etwa indem sie einen teuren Artikel als günstiger deklarieren oder mit einem anderen Barcode scannen.
  • Rückerstattungs- oder Geschenkkartenbetrug: Rückgabebetrug ist eine bekannte Masche. Ein Produkt wird angeblich zurückgebracht, doch in Wirklichkeit hat es nie den Besitzer gewechselt. Die Mitarbeitenden stellen aber dennoch eine Rückerstattung aus oder laden eine Geschenkkarte auf, was einem finanziellen Verlust gleichkommt.
  • Manipulation von Stornierungen (Void Fraud): Dabei werden bereits gescannte oder verbuchte Artikel nachträglich wieder vom Kassenbon gelöscht. Der Kundschaft werden die Produkte jedoch trotzdem übergeben.
  • Rechnungs- bzw. Invoicing-Scams: Hierbei verändert das Personal entweder die Gesamt-Rechnungssumme oder bucht gleich eine ganze Transaktion als storniert, obwohl die Ware herausgegeben wurde.

Sweethearting ist somit weit verbreitet und oft schwieriger zu erkennen als Diebstahl durch Kundschaft, da die üblichen Sicherheitsmaßnahmen wie Kameras oder Warensicherungsanlagen eher auf Externe abzielen.

Warum ist Sweethearting so gefährlich?

Hohe Dunkelziffer

Einer der Hauptgründe für die Gefährlichkeit von Sweethearting liegt in der hohen Dunkelziffer. Viele Fälle werden nie entdeckt, da sie sich unauffällig in den alltäglichen Betriebsablauf integrieren. Mitarbeitende kennen oft genau die Schwachstellen des Systems und nutzen sie geschickt aus, ohne große Spuren zu hinterlassen.

Enorme finanzielle Verluste

Studien aus den USA gehen davon aus, dass ein erheblicher Teil der Verluste durch Mitarbeitendendiebstahl auf Sweethearting zurückzuführen ist. In Deutschland fehlen zwar exakte Zahlen, doch auch hier wird von jährlichen Verlusten in Milliardenhöhe ausgegangen. Jede Person an der Kasse, die nur ein paar Produkte pro Tag „durchschlüpfen“ lässt, kann das Unternehmen auf Dauer massiv schädigen.

Negative Auswirkungen auf die Unternehmenskultur

Sweethearting schadet nicht nur finanziell, sondern auch der Stimmung im Team. Mitarbeitende, die fair arbeiten, fühlen sich möglicherweise benachteiligt, wenn sie das unrechtmäßige Verhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen beobachten. Misstrauen breitet sich aus und kann das Arbeitsklima vergiften.

Ein fiktives Fallbeispiel: „Martina und die Kassendifferenz“

Um die Folgen von Sweethearting greifbarer zu machen, betrachten wir ein fiktives Szenario:

Martina ist 23 Jahre alt und arbeitet als Kassiererin in der Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses in einer deutschen Großstadt. Sie hat eine gute Freundin namens Lisa, die seit Kurzem ebenfalls dort arbeitet, aber in einer anderen Abteilung. Beide verdienen nicht besonders viel, versuchen jedoch, ihren Alltag zu finanzieren. Eines Tages bittet Lisa ihre Freundin Martina um einen Gefallen: Könnte Martina bei Kassenschluss mal einen teureren Artikel, beispielsweise ein Markenparfüm aus einer Aktionsfläche, zu einem günstigen Preis verbuchen? Lisa möchte sich das Parfüm eigentlich nicht leisten, will aber auch nicht darauf verzichten. Martina, die ihrer Freundin gerne helfen will, lässt das Parfüm beim Scannen einfach als deutlich preiswerteren Drogerieartikel durchgehen. Der Unterschied? Knapp 20 Euro, die dem Unternehmen entgehen.

Diese Aktion wiederholt sich in den folgenden Wochen mehrmals. Mal ist es ein hochwertiges Stück Fleisch, mal ein exklusiver Wein, den Lisa oder ihre Bekannten gern vergünstigt kaufen wollen. Martina findet es nicht schlimm: „Es ist ja ein großes Geschäft, und der Verlust fällt bestimmt nicht ins Gewicht.“ Nach und nach summieren sich die Beträge, bis irgendwann in der Filiale eine deutliche Kassendifferenz festgestellt wird. Bei internen Kontrollen fällt auf, dass auffällig viele Produkte bei Martina mit abweichenden Preisen gebucht wurden. Als Videoaufnahmen und Kassendaten verglichen werden, kommt die Wahrheit ans Licht.

Ergebnis: Martina und Lisa verlieren ihre Jobs. Der entstandene Schaden liegt bei mehreren tausend Euro – genug, um eine interne Untersuchung anzustoßen. Für Martina und Lisa bedeutet die Entlassung auch einen Eintrag im Arbeitszeugnis, der es schwierig macht, erneut eine Stelle im Einzelhandel zu finden.

Dieses Fallbeispiel zeigt, wie schnell „harmlose“ Gefälligkeiten zu ernsten Konsequenzen führen können. Was als kleine, freundschaftliche Geste beginnt, kann sich auf Dauer zu einer nennenswerten Schadenquelle für das Unternehmen entwickeln.

Ursachen für Sweethearting

  • Geringe Vergütung: Mitarbeitende im Einzelhandel verdienen oft nicht besonders viel. Wenn finanzielle Engpässe spürbar werden, können sie versucht sein, durch kleine Geschenke oder Vergünstigungen an Freundinnen und Freunde indirekt ihren eigenen Lebensstandard zu erhöhen oder sich gegenseitig zu unterstützen.
  • Fehlendes Unrechtsbewusstsein: Viele Mitarbeitende empfinden Sweethearting nicht als Diebstahl. Sie sehen es eher als „kleine Gefälligkeit“ unter Bekannten oder als harmlose Nettigkeit. Oft wird unterschätzt, dass selbst kleine Beträge im Laufe der Zeit große Summen ergeben können.
  • Mangelnde Kontrollen: Wo kein Risiko entdeckt zu werden, da keine Hemmungen. Wenn Kassensysteme, Warensicherung und Management keine angemessenen Kontrollmechanismen besitzen, haben Mitarbeitende leichtes Spiel, Sweethearting praktizieren zu können.
  • Gruppenzwang oder soziale Dynamik: Mitunter spielen auch soziale Faktoren eine Rolle. Wenn mehrere Kolleginnen und Kollegen das gleiche Verhalten an den Tag legen, steigt der Druck oder die Versuchung für andere Mitarbeitende, es ebenfalls zu tun – sei es aus Angst, als Außenseiter dazustehen, oder um nicht unbeliebt zu werden.
  • Ein deutliches Anzeichen für Sweethearting sind ungeklärte Kassendifferenzen, die regelmäßig auftreten und nicht nachvollziehbar sind. Wenn am Ende eines Tages die Kassenabrechnung nicht stimmt, kann das auf systematische Manipulationen hindeuten. Ebenso auffällig sind ungewöhnlich niedrige Durchschnittsbons. Wenn bestimmte Kassierende immer wieder auffallend geringe Beträge pro Verkauf verbuchen, könnte dies darauf zurückzuführen sein, dass Artikel nicht gescannt oder bewusst vergünstigt abgerechnet werden.
  • Auch Unstimmigkeiten bei Rückgaben und Stornos sind ein Warnsignal. Eine hohe Anzahl an Stornierungen, Rückbuchungen oder Geschenkkarten, die angeblich „zurückgenommen“ wurden, kann darauf hinweisen, dass hier gezielt betrogen wird. Zudem ist die häufige Nutzung von Mitarbeiterrabatten ein möglicher Hinweis auf Sweethearting. Wenn Vergünstigungen nicht nur von berechtigten Mitarbeitenden in Anspruch genommen, sondern auffällig oft für Dritte gewährt werden, besteht ein erhöhtes Risiko für Missbrauch.
  • Ein weiteres Indiz ist die plötzliche Häufung von Bartransaktionen. Bargeld lässt sich schwerer nachverfolgen als Kartenzahlungen, weshalb eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Barverkäufen an einer bestimmten Kasse oder bei einer bestimmten Person misstrauisch machen sollte. Diese Muster können ein Hinweis darauf sein, dass bewusst Artikel nicht erfasst oder Preise manipuliert werden, um unrechtmäßige Vorteile zu gewähren.

Wie groß sind die finanziellen Schäden?

Statistiken aus den USA

Laut Untersuchungen aus den USA trägt Sweethearting erheblich zum jährlichen Schwund (Shrinkage) im Einzelhandel bei, der dort bei rund 50 Milliarden US-Dollar liegt. Studien haben gezeigt, dass bis zu 67 % der befragten Mitarbeitenden schon einmal an einer Form von Sweethearting beteiligt waren.

Situation in Deutschland

Hierzulande gibt es keine flächendeckenden Statistiken, die Sweethearting als eigenständige Kategorie ausweisen. Doch laut Erhebungen des EHI Retail Institute belaufen sich die Gesamtverluste durch Diebstahl (Kundschaft und Mitarbeitende) auf rund 3,4 Milliarden Euro pro Jahr. Fachleute gehen davon aus, dass ein nicht unerheblicher Teil davon auf interne Betrugsfälle zurückzuführen ist, zu denen Sweethearting gehört.

Zusätzliche Kosten

Neben dem reinen Warenverlust entstehen weitere indirekte Kosten: Ladeninhaber müssen Personal für Kontrollfunktionen abstellen, eventuell Rechtsstreitigkeiten führen und das Arbeitsklima durch verstärkte Kontrollen verschlechtern. Dadurch sinkt die Effizienz, und möglicherweise leidet auch das Vertrauen zwischen Management und Belegschaft.

Strategien zur Prävention und Aufdeckung von Sweethearting

Schulungen und Sensibilisierung

Der erste Schritt gegen Sweethearting ist ein offener Umgang mit dem Thema. Mitarbeitende sollten geschult werden, welche Formen von Diebstahl existieren und dass bereits „kleine Gefälligkeiten“ erhebliche Auswirkungen haben können. Wer versteht, dass auch Sweethearting eine Form von Diebstahl ist, wird seltener versucht sein, solche Handlungen zu begehen oder zu dulden.

Überwachungssysteme und intelligente Software

Moderne Kassensysteme sind in der Lage, auffällige Muster zu erkennen. Beispielsweise melden sie ungewöhnlich viele Stornierungen, Preisänderungen oder Rückerstattungen bei einer bestimmten Kassenstation. Ergänzend dazu können Überwachungskameras eingesetzt werden, die mit KI-gestützten Auswertungen arbeiten. Sobald bestimmte Muster auftreten (zum Beispiel das Nicht-Scannen von Artikeln), wird das Management benachrichtigt.

Effektive Kontrollmechanismen und klare Prozesse

  • Kassenaudit: Regelmäßige Kassenprüfungen und Inventuren verringern das Risiko, dass Manipulationen unbemerkt bleiben.
  • Vier-Augen-Prinzip: Speziell bei Rückgaben, Stornos oder Barauszahlungen sollten nie Einzelpersonen allein entscheiden, sondern immer mindestens zwei Personen prüfen.
  • Trennung von Verantwortlichkeiten: Wer kassiert, sollte nicht gleichzeitig für Rückbuchungen oder Preisanpassungen zuständig sein.

Motivationsmaßnahmen für Mitarbeitende

Oft sind es Unzufriedenheit und schlechte Arbeitsbedingungen, die Sweethearting begünstigen. Ein besseres Betriebsklima, gerechte Löhne und transparente Kommunikation können die Loyalität der Mitarbeitenden steigern. Wer sich mit dem Unternehmen identifiziert, ist weniger geneigt, es zu schädigen.

Konsequenzen bei Verstößen

In manchen Fällen hilft nur eine klare Linie: Werden Mitarbeitende beim Sweethearting ertappt, muss das Unternehmen konsequent handeln. Das kann eine Abmahnung bis hin zur fristlosen Kündigung bedeuten. Eine konsequente Verfolgung dient auch der Abschreckung möglicher Nachahmung.

Checkliste: Die wichtigsten Punkte zum Schutz vor Sweethearting

  • Sensibilisierung: Schulungen über verschiedene Formen des Diebstahls und deren Konsequenzen, klare Kommunikation der Unternehmensrichtlinien
  • Klare Prozesse: Vier-Augen-Prinzip bei Rückgaben oder Preisanpassungen, strenge Trennung von Verantwortlichkeiten
  • Überwachungssysteme: Kameras im Kassenbereich, KI-gestützte Analysesysteme für Transaktionsdaten
  • Audits und Inventuren: Regelmäßige Kassenprüfungen, Inventur in kurzen Zeitabständen
  • Business Intelligence: Verknüpfung verschiedener Datenquellen (Kundenfrequenz, Transaktionen, Mitarbeitende), Echtzeit-Benachrichtigungen bei Auffälligkeiten
  • Mitarbeitermotivation: Faire Löhne, positives Betriebsklima, Möglichkeiten zur Weiterbildung
  • Konsequente Sanktionen: Konsequente Verfolgung von Diebstahl, Abmahnung bis hin zur Kündigung bei Wiederholungsfällen

Zukunftsaussichten

Der Einzelhandel wird auch in den kommenden Jahren auf digitale Technologien setzen müssen, um Sweethearting und andere Formen des Diebstahls wirksam zu bekämpfen. Intelligente Kassensysteme, Big-Data-Analysen und hochmoderne Kameras mit KI-Funktionen sind längst keine Zukunftsmusik mehr, sondern gehören zunehmend zur Standardausrüstung moderner Geschäfte. Darüber hinaus wird die Bedeutung eines starken Betriebsklimas weiter steigen. Nur wenn sich Mitarbeitende fair behandelt fühlen und in einem guten Arbeitsumfeld tätig sind, sinkt die Neigung zu Diebstahl und Betrug.

Sweethearting mag auf den ersten Blick harmlos wirken – schließlich sind es oft nur einzelne Produkte, die „unterschlagen“ werden. Doch die Summen, die sich daraus ergeben, sind keineswegs gering, sondern können beträchtliche Teile des Unternehmensgewinns schmälern. Studien belegen, dass bis zu zwei Drittel der Mitarbeitenden zumindest gelegentlich an solchen Praktiken beteiligt sind, was gerade bei großen Handelsketten erhebliche Schäden verursacht.

Mit den richtigen Strategien und Hilfsmitteln lässt sich dieses Risiko jedoch deutlich reduzieren. Schulungen und Sensibilisierungen machen den Mitarbeitenden klar, dass es sich nicht bloß um eine kleine Gefälligkeit handelt, sondern um Diebstahl mit teils gravierenden Folgen. Modernes Reporting, Business Intelligence und KI-gestützte Auswertung der Transaktionsdaten ermöglichen eine präzise und schnelle Reaktion auf Anomalien. Regelmäßige Audits, klar definierte Prozesse und faire Arbeitsbedingungen vervollständigen das Maßnahmenpaket gegen Sweethearting.

Sweethearting ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein ernst zu nehmendes Problem, das den Einzelhandel jährlich Millionen, wenn nicht sogar Milliarden kostet. Gleichzeitig zeigt die Praxis, dass sich mit einer Kombination aus technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen viel erreichen lässt. Ein gutes Betriebsklima, faire Behandlung und transparente Prozesse bilden die Basis. Smarte Technologien wie KI-Analyse, Echtzeit-Überwachung und ausnahmebasiertes Reporting runden das Schutzkonzept ab. So können Einzelhändler nicht nur den finanziellen Schaden minimieren, sondern auch das Vertrauen und die Loyalität der Belegschaft stärken – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

Tags
Sie verwenden einen nicht mehr unterstützten Browser. Bitte öffnen Sie unsere Seite in einem anderen Browser.